Herr Achammer, während andere gerade erst KI einführen und die Euphorie auf dem „Peak“, auf der Spitze, ist, haben Sie in den vergangenen Jahren schon viel getestet – von kreativen Ideen bis hin zu experimentellen Werkzeugen. Wo stehen Sie heute?
Albert Achammer: Sobald eine neue Technologie auftaucht, denkt man sofort, sie sei die allumfassende Lösung – eine Art Wundermaschine, bei der man nur noch einen Knopf drückt und alles läuft automatisch. Wir haben mit regelbasiertem, algorithmischem Design – wir nennen es „Computational Design“ vor rund fünf Jahren begonnen, einfache Automatismen für wiederkehrende Planungsaufgaben zu entwickeln – etwa, dass bei jeder zweiten Stütze automatisch ein Lichtschalter gesetzt wird. Unser Ansatz war damals, möglichst viele Regeln in einen großen Codeblock zu packen, der auf Knopfdruck vieles gleichzeitig erledigt. Doch wir haben schnell erkannt, dass es effektiver ist, kleine, gezielt einsetzbare Tools zu entwickeln – wie die Werkzeuge in einem Werkzeugkasten, die sich je nach Bedarf einzeln oder kombiniert nutzen lassen, mal der Hammer, mal der Schraubenzieher, mal die Säge.
Lila Rossi: Ähnliche Erfahrungen haben wir mit KI gemacht. Unsere zentrale Erkenntnis war, dass es nicht zielführend ist, immer wieder nach der „einen großen Lösung“ zu suchen. Viel sinnvoller ist es, schrittweise vorzugehen: mit kleinen, konkreten Anwendungsfällen, die mit überschaubarem Aufwand echten Mehrwert liefern und sich nach und nach skalieren lassen. So haben wir im letzten Jahr unsere Herangehensweise deutlich angepasst – weg von der Idee, alles auf einmal zu automatisieren, hin zu einem modularen, pragmatischen Vorgehen. Derzeit befinden wir uns beim Übergang vom breiten Ausprobieren zur gezielten Suche nach konkreten, praxisrelevanten Anwendungsfällen. Wir fokussieren uns zunehmend darauf, was uns tatsächlich bei kreativen Entscheidungen oder bei der Produktivität weiterhilft. Wir haben beispielsweise gelernt, dass man sich intensiv mit den Anwendungsfeldern von KI auseinandersetzen muss. Denn nicht überall ist der Einsatz sinnvoll. Und wir haben erkannt, dass es nicht ausreicht, dass die Technologie bereitsteht. Der Mensch, der sie anwendet, muss ebenfalls dafür bereit sein.
Achammer: Und wir haben gelernt, aufzupassen, dass das KI-Werkzeug nicht zum Selbstzweck wird. Früher haben Architekten mit einer einfachen Handskizze begonnen ein Konzept zu entwickeln. Sie hatten ein klares Ziel vor Augen und überlegten sich eine Struktur, bevor es an die Umsetzung ging. Heute setzen sich viele von ihnen direkt an den Rechner und modellieren. Das geht schnell, aber ist nicht unbedingt effektiv. Denn nur weil ein Tool existiert und beeindruckend funktioniert, heißt das noch lange nicht, dass sein Einsatz sinnvoll ist. Die entscheidende Frage lautet also: Was will ich erreichen? Erst mit einem klaren Ziel lässt sich das richtige Werkzeug vernünftig einsetzen. Vor allem im digitalen Arbeitsumfeld verlieren wir oft mehr Zeit, als wir glauben, weil bestimmte Tools genutzt werden, obwohl nicht klar ist, wofür überhaupt. Das gilt auch für KI. Mit unserem selbst entwickelten „Image Generator“ kann ich in einer Stunde tausende Varianten erzeugen – aber wofür? Nur um viele Varianten zu haben? Oder gibt es vielmehr eine gestalterische Absicht, eine konkrete Fragestellung, ein Ziel hinter diesem Vorgehen?
Für einen echten Wandel, im Sinne einer höheren Effizienz durch den KI-Einsatz, braucht es also vor allem eine klare Struktur?
Achammer: Unsere Erfahrungen zeigen, dass ein echter Wandel nur dann erfolgreich umzusetzen ist, wenn vier zentrale Bereiche gleichwertig und synchron weiterentwickelt werden. Der wichtigste Hebel hierbei ist der kulturelle Wandel: Wie gehen wir an Dinge heran? Arbeite ich vielleicht anders und wie? Der zweite Punkt betrifft die Organisation. Neue Technologien erfordern oft auch andere Organisationsformen: Früher war vieles in Silos oder Profit Centers organisiert. Heute arbeiten wir in dezentralen und vernetzten Strukturen. An dritter Stelle kommen die Prozesse. Nur durch echte Prozessveränderungen lässt sich der Mehrwert von Technologie ausschöpfen. Wenn ich weiterhin mit dem Bleistift arbeite, nur um dann doch die Zeichnung zu digitalisieren, bleibt die Effizienz aus. Erst an vierter Stelle steht die Technologie. Natürlich spielt sie eine Rolle. Aber sie ist nicht isoliert zu betrachten, sondern als Werkzeug innerhalb eines abgestimmten Gesamtsystems. Die Einführung und der breite verantwortungsvolle Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Unternehmen war demnach eines der Hauptthemen, das wir in den letzten Monaten verfolgt haben.
Was bedeutete das im Detail?
Achammer: Es ging hierbei in erster Linie um die Themen Kultur, Prozesse und Befähigung. Wir haben im Intranet einen eigenen KI-Bereich und ein internes Schulungsprogramm zu den „AI Basics“ entwickelt. Darin finden sich Informationen zu unseren verwendeten Tools, Anwendungsbeispiele, Anleitungen zum richtigen Prompting und Einsteigerkurse und Tutorials. Denn wenn man nicht richtig mit KI umzugehen weiß, ist es, als würde man einem ungelernten Menschen ein hochkomplexes Spezialwerkzeug in die Hand geben.
Rossi: Darüber hinaus haben wir über eine Kommunikationsplattform eine KI-Community aus Kolleginnen und Kollegen aufgebaut, die inzwischen eine unserer lebhaftesten Gruppen geworden ist. Hier teilen KI-Anwender Infos, schreiben, wie sie ein Werkzeug genutzt haben. Hier tauchen Fragen, Tipps und Anwendungsbeispiele auf. Diese gegenseitige Unterstützung ist besonders wertvoll. Wir erklären ihnen nicht mehr Top Down die Dinge, sondern sie probieren selbst aus und bringen sich gegenseitig bei, wie was funktioniert. Dadurch entwickeln sich einzelne Tools durch den konkreten Anwendungsfall weiter, was einen echten Mehrwert bedeutet.
Welche KI-Werkzeuge sind denn inzwischen Standard bei ATP, was ist in der Entwicklung?
Rossi: Wir nutzen KI-Tools insbesondere dort, wo sie auf konkrete, einfach zu beschreibende Anwendungsfälle ausgerichtet sind, die uns früher viel Zeit kosteten. Ein gutes Beispiel ist unser internes Bildgenerator-Tool, das viel und regelmäßig angewendet wird, weil es unmittelbar einen Mehrwert bringt. Mit diesem „Image Generator“ lassen sich inzwischen sogar definierte Stile hinterlegen. So zum Beispiel ein Comic-Stil, der dann konsistent auf Bilder angewendet wird und angepasst auf das Corporate Design eines Unternehmens ist. Wir erstellen damit außerdem nicht nur fotorealistische Visualisierungen, sondern auch mal ein Moodboard oder Farbschemata, die wir früher von Hand zusammengestellt oder gezeichnet haben. Ursprünglich war dieses Tool aber gar nicht dafür gedacht, wurde nicht für diesen Einsatz konzipiert. Aber die Einzelnen verwenden es so, wie es für sie nützlich ist.
Achammer: Ein weiterer Bereich ist die Analyse von Umweltbedingungen in frühen Planungsphasen. Solche Berechnungen haben in der Vergangenheit einen ganzen Tag gedauert. Der Aufwand stand damit in keinem Verhältnis zum erzielten Nutzen. Dank KI-gestützter Tools sind wir heute in der Angebotsphase in der Lage, mit etwa 80 Prozent Genauigkeit wesentliche Informationen zu generieren, z. B. zur Lärmbelastung, der Sonneneinstrahlung, der Verschattung oder den CO₂-Auswirkungen. Die 80 Prozent reichen völlig aus, um frühzeitig fundierte Entwurfsentscheidungen zu treffen, ohne Massen und Mengen bis auf die letzte Kommastelle auszurechnen. Auch eher öffentliche und längst präsente KI-Anwendungen wie Text-zu-Text, Text-zu-Bild und Sprache-zu-Text-Generatoren, zum Beispiel zur automatischen Transkription von Meetings, sind inzwischen weit verbreitet. Sie decken in unserem Arbeitsalltag bereits einen großen Teil der Standardanforderungen ab.
Rossi: In einigen unserer Computational Design-Anwendungen kommen ebenfalls kleine KI-Bausteine zum Einsatz. Sie dienen etwa der schnellen Entwicklung von Lösungsansätzen, der Berechnung von Wahrscheinlichkeiten oder der automatisierten Variantenerstellung. Diese KI-Elemente sind meist tief in die spezifischen Tools integriert und arbeiten beispielsweise in parametergestützten Entwurfsprozessen eher im Hintergrund und in oft sehr spezialisierten Anwendungsfällen. So habe ich selbst ein Tool entwickelt, das es möglich macht, die in Plänen eingezeichneten Baumsymbole entsprechend der verschiedenen Baumarten schnell auf die tatsächliche Wuchsgröße zu erhöhen, damit sie sofort erkennbar wird. Das hilft uns wiederum in unserer Planung.
Viele dieser neuen KI-Anwendungsfälle entstehen also aus ihrem Arbeitsalltag heraus?
Achammer: Ja, ganz einfach, weil etwas gebraucht wird und das Werkzeug XY plötzlich eine gute Lösung bietet. Andere Tools wiederum wollen wir gerne haben. Aber die Entwicklung dauert aufgrund der Komplexität noch an. Das beste Beispiel dafür ist unser Prototyp für den „Chat ATP“ – unsere interne Hilfe- und Wissensdatenbank. Die Umsetzung stockte zunächst, weil die unüberschaubare Datenmenge aus 75 Jahren Projekterfahrung niedergeschrieben, auf Computerlaufwerken und Servern überwältigend war. Wir wussten lange nicht, wie wir unsere Wissensdatenbank strukturiert angehen sollen. Wir wollten nicht Tausende von Euro in das Kategorisieren von Dokumenten fließen lassen. Und in der Konsequenz nutzen die Leute das Tool vielleicht doch nicht. Also versuchten wir stärker, in einen agileren Rhythmus zu kommen. Vor kurzem haben wir einen Weg gefunden, um das Thema Chat ATP anzugehen und erwarten uns hiervon hohe Qualität und Effizienzsteigerung, denn wir konnten in 75 Jahren enormes Wissen „bunkern“. Dieses Know-how mit allen Kolleginnen und Kollegen im Unternehmen zu teilen, kann einen großen Mehrwert bedeuten.
Wie sieht es mit dem KI-Einsatz beim Entwurf aus?
Rossi: Wir haben bereits einiges bei den KI-generierten 3D-Geometrien und ähnlichen Anwendungen ausprobiert. Bislang muss man jedoch ehrlicherweise sagen: Das sind für uns Spielereien geblieben. Es gibt durchaus erfolgsversprechende Ansätze. Und technologisch ist vieles denkbar. Aber bislang konnten wir keinen konkreten Anwendungsfall finden, bei dem wir sagen: „Dieses steigert unsere Kreativität.“ Oder: „Jenes verbessert spürbar die Effizienz unserer Planungs- oder Steuerungsprozesse.“
Achammer: Trotzdem bleiben wir natürlich offen: Ich bin überzeugt, dass wir in Zukunft KI gezielt einsetzen werden, um z. B. unsere datenbasierten Modelle intelligent beeinflussen zu lassen – aber nicht generativ, quasi im luftleeren Raum, sondern auf Basis realer Planungs- und Projektinformationen.
Zusammenfassend: Was hat sich bewährt?
Achammer: Oft geht es um Projektaufgaben, die zeitintensiv, aber notwendig sind – und die dank KI deutlich schneller als früher erledigt werden können oder die dabei helfen, bessere Entscheidungen zu treffen oder mehr Varianten zu probieren. Ein gutes Beispiel aus der Praxis ist die Arbeit unseres Nürnberger ATP-Büros an verschiedenen Krankenhausprojekten: Hier müssen in allen Plänen die nötigen Raumstempel platziert werden, also Bezeichnungen, Größenangaben, Eigenschaften der Räume und weitere wesentliche Details. Vor dem KI-Einsatz im Büro war eine Person zwischen einer und zwei Wochen damit beschäftigt, die Raumstempel manuell zu erarbeiten. Das vor allem in der Abgabephase einer Planung. Irgendwann hat sich ein Kollege aus der Computational Design-Community eine Stunde Zeit genommen und ein kleines Skript programmiert, das diese Aufgabe heute in weniger als 30 Sekunden erledigt. Natürlich bedeutet sowas einen hohen Effizienzgewinn. Die Produktivität steigt deutlich, was Freiraum für Kreativität schafft. Die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter, der früher diese zeitaufwendige Routineaufgabe machen musste, kann sich jetzt auf weitaus anspruchsvollere Tätigkeiten konzentrieren. Das ist für alle im Büro gut. Wir haben schließlich nicht Architektur oder Ingenieurwesen studiert, um monotone Tätigkeiten auszuführen, sondern weil wir unsere Umwelt aktiv gestalten, entwerfen und planen wollen.
Autor: Christine Ryll
