Klimarisiko- und Vulnerabilitätsuntersuchungen mit KI


Um ihr Immobilienportfolio langfristig resilient aufzustellen, führt die Bayerische Hausbau REAL Estate (BHRE) Klimarisiko- und Vulnerabilitätsuntersuchungen durch. Dabei kooperiert das mittelständische Unternehmen mit einem Softwareanbieter zur interaktiven Bewertung klimabedingter Risiken für Gebäude. Wir sprachen mit Astrid Kammel, Assetmanagerin ESG bei der BHRE, und Christian Spindler, Co-founder und CEO des Softwareanbieters Sustainaccount, über Ziele und Wege der Kooperation in Richtung Nachhaltigkeit.

Sie haben Immobilien im Wert von 3,3 Mrd. EUR im Bestand. Welche Ziele verfolgt die BHRE mit ihren Klimarisiko- und Vulnerabilitätsuntersuchungen?

Astrid Kammel: Nachhaltigkeit ist fest in unserer Unternehmensstrategie verankert – mit einem klaren Fokus auf die Transformation unseres Gebäudebestands im Einklang mit den deutschen und europäischen Klimazielen. Unsere eigens entwickelte Nachhaltigkeitsstrategie umfasst dazu auch standortspezifische Klimarisikoanalysen für jedes Gebäude. So erkennen wir Risiken frühzeitig, können gezielt gegensteuern und sichern den langfristigen Wert unseres Portfolios. Gleichzeitig erfüllen wir regulatorische Anforderungen, reagieren auf Markterwartungen und zeigen Verantwortung gegenüber unseren Interessensgruppen.

Denn die Folgen des Klimawandels sind bereits spürbar – etwa durch Extremwetter wie das Hochwasser im Ahrtal. Solche Ereignisse können erhebliche Gebäudeschäden verursachen, bis hin zur völligen Zerstörung. Doch auch schleichende Klimaentwicklungen betreffen uns als Bestandshalter: Langanhaltende Hitzewellen beispielsweise können Gebäude derart aufheizen, dass deren Attraktivität mit der Zeit sinkt, was sich negativ auf Nachfrage, Wirtschaftlichkeit und Immobilienwert auswirken kann.

Was wird bei den Analysen im Detail untersucht?

Kammel: Unsere Klimarisikoanalysen gehen weit über eine oberflächliche Bewertung hinaus. Wir betrachten sowohl Mikro- als auch Makrolage jedes Gebäudes – also den konkreten Standort und die regionalen klimatischen Entwicklungen. Dabei unterscheiden wir zwischen akuten Risiken wie Starkregen, Hagel, Stürmen oder Hochwasser – die heute bereits auftreten und künftig zunehmen – und chronischen Risiken wie steigenden Temperaturen, häufigeren Hitzetagen oder Wasserknappheit. Diese Entwicklungen analysieren wir modellbasiert über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes hinweg – wie es u. a. die EU-Taxonomie und die DGNB fordern. Für neue Wohngebäude etwa bedeutet das eine Analyse bis 80 Jahre in die Zukunft, also ins Jahr 2105.

Diesen standortspezifischen Klimarisiken werden nun bauliche Eigenschaften gegenübergestellt. Wir analysieren z. B., ob Fassadentypen sturmfest sind, Photovoltaikanlagen hagelsicher installiert wurden oder Tiefgaragen ausreichend gegen Hochwasser geschützt sind. Daraus leiten wir im Anschluss ab, ob ein Gebäude bereits ausreichend resilient ist – oder ob gezielte Maßnahmen notwendig sind, um es an zukünftige Klimabedingungen anzupassen. Wichtig ist hierfür die Betrachtung zweier Dimensionen: Das Heute – also die aktuellen klimatischen Bedingungen am Standort, unter denen das Gebäude ursprünglich geplant und gebaut wurde. Und dann zukünftige Entwicklungen – denn der Klimawandel verändert die Rahmenbedingungen teils deutlich. Was heute funktioniert, kann morgen problematisch sein – etwa, weil unser Klima in Mitteleuropa sich dann vielleicht dem Klima in Süditalien angenähert hat. 

Christian Spindler: Wie real und gegenwärtig solch ein Szenario schon heute ist, zeigt ein aktuelles Beispiel aus einer Region, aus der man so etwas bisher kaum erwartet hätte: In England hat der Wetterdienst im August 2025 eine Warnung wegen extremer Hitze und anhaltender Trockenheit herausgegeben – teils mit Auswirkungen auf die kommunale Wasserversorgung. Für große Bürogebäude mit tausenden Mitarbeitenden, Kühlung, Kantinen und Sanitäranlagen kann Wasserknappheit aber beispielsweise den gesamten Betriebsablauf stören – weit über einen reinen Komfortverlust hinaus. 

Wie sieht die Lösung aus, mit der Sie diese Risiken analysieren? Welche Daten nutzt sie und welche Rolle spielt KI?

Spindler: Die Software-Lösung Climate Resilience Suite nutzt beispielsweise aktuelle globale Klimamodelle sowie zusätzliche Datenquellen wie lokale Flutdaten oder historische Schadenereignisse. Mithilfe künstlicher Intelligenz werten wir diese vielfältigen Rohdaten länderübergreifend aus – etwa zur Analyse von Starkregenrisiken, Waldbrandgefahr oder Dürreperioden, heute und in der Zukunft.

Unser Resilienzmodell für Gebäude bewertet wiederum deren Widerstandsfähigkeit. Der dafür entwickelte Fragenkatalog basiert auf unserer fundierten Expertise in Bau, Konstruktion und Nutzung sowie dem kontinuierlichen Austausch mit Kunden, Fachplanern und weiteren Interessensgruppen. KI analysiert dafür automatisiert Baupläne, Gutachten oder Investitionspläne – etwa zu Wärmeschutz oder Fassadendämmung. Rund 200 Kriterien pro Gebäude ermöglichen eine ganzheitliche Analyse – von Konstruktion, Fassade und technischer Ausstattung bis hin zur Gebäudenutzung und bereits umgesetzten Präventionsmaßnahmen – etwa den Verzicht auf eine Unterkellerung in hochwassergefährdeten Gebieten.

Das System ist praxisnah, interaktiv und hochdifferenziert: Es berücksichtigt verschiedene Gebäudetypen (z. B. Büro, Wohnen, Logistik, Hotel) sowie länder- und regionsspezifische Klimarisiken. So lassen sich Risiken standort- und nutzungsspezifisch bewerten und gezielte Maßnahmen ableiten. Besonders wichtig ist das, weil viele Neubauten zwar den aktuellen Standards entsprechen, aber oft keinen „Klimapuffer“ – also zusätzlichen Anpassungsspielraum über die Norm hinaus – bieten.

Ein Beispiel hierfür ist die Photovoltaikanlage auf dem Dach: Energetisch sinnvoll, aber zugleich ein potenzielles Risiko bei Hagel, Sturm oder Starkregen. Deshalb erfassen wir nicht nur, ob eine PV-Anlage vorhanden ist, sondern wie sie installiert wurde – etwa hinsichtlich Aufständerung, Befestigung und Materialwahl. Ziel ist eine ausgewogene Bewertung zwischen Energieeffizienz und standortspezifischem Klimarisiko. 

Können Sie uns etwas über die Rolle von KI in der praktischen Anwendung erzählen?

Spindler: In der Praxis kombinieren wir die KI mit unserer langjährigen Erfahrung, um den Fragenkatalog effizient anzuwenden. Dank unseres tiefen Verständnisses verschiedener Gebäudetypen können viele Informationen – etwa zu Typ, Alter, Zustand oder Neubau versus Bestand – frühzeitig qualifiziert werden. So entsteht schnell ein realistisches Objektbild. Auf dieser Basis entwickeln wir passgenaue Anpassungsstrategien, deren Wirksamkeit wir mithilfe von Algorithmen bewerten und in optimale Maßnahmenketten überführen.

Für die Projektbeteiligten vor Ort geht es damit nicht mehr um das Ausfüllen eines starren Fragebogens, sondern um die Validierung unserer Annahmen: Passen die Modellwerte zum konkreten Gebäude? Gibt es Besonderheiten wie Denkmalschutz oder spezielle Nutzungen? Im Anschluss folgt die zentrale Frage: Wie lassen sich potenzielle Risiken effektiv und praxisnah lösen?

Kammel: Bei Gefahr von Starkregen oder Überflutungen prüfen wir dazu beispielsweise zunächst einfache Maßnahmen wie Rückstauklappen. Wäre ein dauerhafter Hochwasserschutz erforderlich, müssten wir evaluieren, ob sich etwa Flutmauern lohnen, ob eine Zusammenarbeit mit der Kommune sinnvoll ist oder ob bereits kommunale Schutzmaßnahmen existieren. Je nach Lage, Gebäudetyp und Nutzung könnte auch ein temporärer Schutz – etwa mobile Sperren – die wirtschaftlichere Lösung sein. Diese Dinge muss man abhängig von der Lage und vom Gebäudetyp und von der Gebäudenutzung evaluieren. Entscheidend ist dafür jedoch im Vorfeld eine bedarfsgerechte, standortbezogene Bewertung.

Wie ist die Risikoeinstufung strukturiert?

Spindler: Die Analyse liefert für jede untersuchte Klimarisiko-Kategorie eine Einstufung auf der Skala von gering bis sehr hoch – sowohl für die aktuelle Situation als auch für die zukünftige Entwicklung, falls am Gebäude nichts verändert wird. Zusätzlich wird ein Szenario berücksichtigt, in dem Anpassungsmaßnahmen umgesetzt werden. Für dieses Szenario wird die Risikoeinstufung neu bewertet, um zu zeigen, wie sich die Maßnahmen auf das Risiko am Gebäude auswirken.

Welches Ergebnis haben die Gebäude der BHRE erzielt?

Kammel: Wir haben bis jetzt rund ein Drittel unseres Portfolios analysiert. Da sich der Großteil in München befindet, sind die Klimarisiken dort vergleichbar. Am häufigsten prognostiziert wurden Risiken durch Starkregen, Hitzewellen und Hagel. Die meisten Gebäude weisen ein geringes bis moderates Risiko auf, Ausnahmen mit hohem Risiko werden genau geprüft. Dabei fließen auch Objektstrategien ein: Stehen ohnehin Sanierungen oder große Mieterwechsel an? Wie entwickeln wir das Objekt weiter? Maßnahmen werden dann gezielt und praktikabel eingeplant. Das Wissen über unseren Gebäudebestand ermöglicht uns als Unternehmen somit eine vorausschauende Bewertung der Risiken – auch solcher, die ohne Analyse nicht sichtbar geworden wären – und gezielte Maßnahmen, um Schäden zu vermeiden. Wir unterscheiden dabei zwischen akuten Klimafolgen und langfristigen Risiken. Nicht jede vorgeschlagene Maßnahme muss sofort umgesetzt werden. Stattdessen entscheiden wir je nach Risiko, Gebäudeeigenschaft und Projektstrategie, wann und wie wir handeln. 

Spindler: Das erlaubt eine effiziente und planbare Umsetzung. Denn nicht alles, was theoretisch machbar ist, ist in der Praxis auch sinnvoll – und nicht alles, was sinnvoll wäre, ist heute schon nötig. Manche Maßnahmen werden erst relevant, wenn bestimmte Klimarisiken in einer Region tatsächlich zunehmen.

In diesem Zusammenhang beobachten wir auch eine spannende Entwicklung: Früher wurden Klimarisikoanalysen vor allem zur Erfüllung regulatorischer Vorgaben genutzt, etwa für Zertifizierungen wie die DGNB, zu der unsere Analysen wertvolle Punkte beitragen. Heute geht der Fokus zunehmend dahin, die Analysen aktiv für die langfristige Planung zu nutzen – um Risiken am Standort frühzeitig zu erkennen und in die Portfoliostrategie einzubeziehen. So entsteht echter Mehrwert für die Gebäude über reine Zertifizierungsfragen hinaus.

Herr Spindler, welche Rolle spielt die Digitalisierung bei der Klimarisikoanalyse?

Spindler: Cloudbasierte Software macht komplexe Klimamodelldaten schnell nutzbar und verknüpft sie direkt mit den spezifischen Eigenschaften jedes Gebäudes. So entfällt der manuelle Aufwand für Ingenieure – die Analyse erfolgt automatisiert und liefert in einem Schritt sowohl Risikobewertungen als auch konkrete Handlungsempfehlungen. Soweit der aktuelle Stand – wobei die Lösung laufend weiterentwickelt wird. Neue Klimamodelle und Erkenntnisse fließen regelmäßig ein, ebenso wie spezifische Risikoprofile für verschiedene Gebäudetypen (z. B. Supermärkte oder Produktionsbetriebe). Damit erweitert sich die Anwendbarkeit der Analyse fortlaufend.

Langfristig soll aus dem einmaligen Analyseprozess ein interaktives Planungstool werden. Software kann Projekte dann kontinuierlich begleiten, von der Planung über die Umsetzung und den Betrieb bis zur Sanierung, liefert Rückfragen, Vorschläge zur Resilienzsteigerung und passt sich flexibel neuen Fragestellungen an. Über eine API-Schnittstelle lässt sich das System für diese Zwecke schon jetzt nahtlos in bestehende IT-Systeme integrieren – etwa in Portfolio- oder Energiemanagement-Systeme. So können relevante Daten automatisch einfließen und weiterverarbeitet werden. Das sorgt für einen durchgängig vernetzten und effizienten Analyse- und Planungsprozess.

Also ein weiterer Schritt in Richtung Nachhaltigkeit?

Kammel: Das Thema Klimarisiken und Anpassung wurde vor wenigen Jahren noch eher beiläufig behandelt. Heute spüren wir deutlich, dass es an Bedeutung gewinnt – auch seitens der finanzierenden Banken und weiterer Interessensgruppen. Gleichzeitig spüren wir die Folgen des Klimawandels bereits deutlich. Deshalb ist es entscheidend, dass Projektentwickler und Bestandshalter von Immobilien frühzeitig die Risiken analysieren und ihre Gebäude resilient aufstellen.

Spindler: Wir sind überzeugt, dass diese Auseinandersetzung das Bewusstsein für den Wert des Klimaschutzes steigert. Wir erkennen, welche Werte gefährdet sind – und setzen uns dafür ein, möglichst ressourcenschonend zu bauen, zu sanieren und zu betreiben. Dazu leisten wir gerne unseren Beitrag. 

Von Christine Ryll und Tim Westphal (Arge Kommunikation GbR) für das Mittelstand-Digital Zentrum Bau. Das Interview wurde am 14. August 2025 geführt.

08.10.2025