Zwischen Realität und Zukunftsvision – JSB Architekten im Interview


Vier schnelle Fragen zur digitalen Baustelle haben wir an Sirri El Jundi und Michael Holder von JSB Architekten aus Stuttgart gestellt. Was die BIM-erfahrenen Architekten zum Ist-Stand der digitalen Baustelle denken und was sie für die Zukunft erwarten, das haben Sie uns im Interview beschrieben.

Ein Gespräch mit Sirri El Jundi und Michael Holder von JSB Architekten

Was steckt hinter dem Begriff „digitale Baustelle“?

Für uns gibt es zwei wesentliche Punkte, die wir mit dem Begriff „digitale Baustelle“ verbinden: Das eine ist die Unterstützung bzw. Weiterentwicklung klassischer analoger Prozesse hin zu vermehrt computergestützten Prozessen, sei es durch die Umstellung von Papierplänen auf die Nutzung von Modellen oder die Unterstützung des Handwerks im Bereich neuer Maschinen und Geräte. Als zweiten Punkt sehen wir die vermehrte Verknüpfung der Baustelle selbst mit dem digitalen Ort, angefangen bei einem digitalen Aufmaß,  die Simulation des Aushubs und dessen Lagerung und Transport über Modelle bis hin zur digitalen Steuerung von Maschinen zur tatsächlichen Ausübung dieser Tätigkeit selbst.

Welche Möglichkeiten für Unternehmen gibt es bereits auf der digitalen Baustelle zu arbeiten?

Wir arbeiten bereits seit Jahren BIM-basiert und sehen einfach den Vorteil, den diese Art zu Arbeiten und zu Denken auf der Baustelle mit sich bringt. Allein das Modell an sich stellt für alle Beteiligten einen wahnsinnigen Mehrwert dar, sowohl in der Planungsphase als auch nachher auf der Baustelle. Das digitale Abbild hilft den Beteiligten beim Verständnis der Aufgabe und im Lösen von möglichen Knackpunkten – so sind wir der Baustelle immer Voraus. Wir sehen bereits in der Planungsphase viele Konfliktpunkte, die sich bereits vorab lösen lassen, gleichzeitig können aber auch mögliche Zwangspunkte, welche in der Ausführung selbst eine Herausforderung darstellen, auf einer validen Grundlage besprochen und gelöst werden.

Darüber hinaus sehen wir viele Möglichkeiten auf Basis unserer Modelle auch neue Prozesse anzusteuern und effizienter zu gestalten. Ein zentrales Beispiel hierfür ist bei uns aktuell die Durchführung von Soll-Ist-Vergleichen, um mögliche Abweichungen in der Ausführung festzustellen und darauffolgende Prozesse anzupassen. Die Technologie im Bereich des Gebäudescans hat sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt, so dass wir heute mit Hilfe eines mobilen Scanners (NavVis VLX) selbst, die entsprechenden Punktwolken aufnehmen und erstellen können.

Diese Punktwolke bildet zusammen mit den vorhandenen IFC-Modellen die Basis für unseren Soll-Ist-Vergleich, welcher für uns nichts anderes ist, als ein prozessbegleitendes Qualitätsmanagement. Auf diese Art und Weise konnten wir bspw. für eines unserer BIM-Management-Projekte (ein Schulneubau) einen Soll-Ist-Vergleich unserer modellbasierten Schlitz- und Durchbruchsplanung mit dem fertiggestellten Rohbau durchführen und prüfen, ob es Abweichungen zwischen der geplanten Leitungsführung entsprechend IFC-Modell und den tatsächlich gebauten Durchbrüchen gibt. Analog sieht nun bspw. auch unser Vorgehen für ein weiteres Projekt aus: Das neue Fakultätsgebäude des Waldcampus in Aalen. Um sicherzustellen, dass das Raster der Holzfassade und der Rohbau perfekt zusammenpassen, haben wir auch hier Ist-Zustand als Punktwolke aufgenommen und diesen mit dem IFC-Modell des Holzbaus abgeglichen. So können mögliche erforderliche Anpassungen des Holzbaus aufgrund von Rohbautoleranzen bereits noch vor Produktion der Fassade in das IFC-Modell einfließen und gewährleisten, dass die fertig produzierten Fassadenelemente am Ende auch perfekt auf den Rohbau passen. Das spart Zeit, Geld und Nerven.

Welche Herausforderungen sieht JSB Architekten für kleine und mittlere Unternehmen? Wie können kleine und mittlere Unternehmen am besten an das Thema Digitale Baustelle / Digitalisierung auf der Baustelle herangehen?

Wir sehen und hören natürlich häufig, dass für kleine und mittlere Unternehmen die Einstiegshürde sowohl finanziell als auch im Hinblick auf den Ausbau des vorhandenen Know-Hows immer relativ hoch erscheint. Gleichzeitig sind wir aber auch überzeugt, dass vor allem die kleinere Größe nicht unbedingt eine Hürde, sondern vor allem auch eine große Chance darstellen kann. Die Möglichkeit, sich auf verändernde Bedingungen einzulassen und ggf. auch kleine Umstrukturierungen vorzunehmen, ist in einem kleineren und daher häufig auch agileren Umfeld meist einfacher.

Unsere erste Empfehlung für jedes Unternehmen, dass sich in den Bereich „digitale Baustelle“ hin entwickeln möchte, ist immer zunächst die Umstellung auf eine modellbasierte Planung. Diese ist Zentrum und Basis für alle weiteren Entwicklungsschritte.

Wohin entwickelt sich die digitale Baustelle?

Wir stellen uns die Baustelle der Zukunft etwas ruhiger, mit weniger Menschen vor. Wir sind überzeugt, dass aufgrund der heute bereits vorliegenden technologischen Möglichkeiten, in der Zukunft ein großer Teil der Baustelle automatisiert abläuft bzw. in Fabriken verlegt wird. Wir sehen heute schon die Möglichkeiten, die Modul- und Elementbau bieten und sind überzeugt, dass mit dem weiteren technischen Fortschritt die entsprechenden Prozesse noch weitaus weiter automatisiert werden können – der Soll-Ist-Vergleich ist hierfür unserer Meinung nach auch eine zentrale Möglichkeit, um sicherzustellen, dass Module bzw. Elemente passgenau produziert und gesetzt werden können und Nachregulierungen vor Ort damit massiv abnehmen.


29.10.2021